Christos Katsioulis · IPG Journal
Wie lange hält die Unterstützung für die Ukraine? Das Thema Waffenlieferungen birgt die Gefahr der Spaltung, schreibt unser Leiter Christos Katsioulis für das IPG Journal. Die Unterstützung für die Ukraine in Europa ist groß, aber nicht grenzenlos. Sanktionen werden begrüßt, bei Waffenexporten scheiden sich die Geister.
Seit mehr als 300 Tagen tobt ein Krieg in Europas unmittelbarer Nachbarschaft und ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Die Reaktionen auf den russischen Angriff gegen die Ukraine wären noch im letzten Jahr kaum vorstellbar gewesen. Die EU hat mehrere weitreichende Sanktionspakete gegen Russland erlassen, deren wirtschaftliche Auswirkungen das Land auf lange Sicht treffen werden. Die Abkopplung der europäischen Volkswirtschaften von russischen Fossilrohstoffen, die eigentlich erst im Laufe der grünen Transformation zum Ende des Jahrzehnts spürbar werden sollte, wurde kurzerhand vorgezogen. Die zerborstenen Pipelines von Nord Stream 1 und 2 am Boden der Ostsee sind das Symbol dieser beendeten Energiepartnerschaft.
Die NATO-Staaten liefern Waffen in ungekanntem Ausmaß an die Ukraine, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes aufrechtzuerhalten und den Erfolg des russischen Angriffs zu vereiteln. Die gewohnt heftig geführten Debatten um die Verteilung von Flüchtlingen in Europa fielen im Fall der Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer aus. Unbürokratisch und mit massiver Unterstützung der Zivilgesellschaften, wurden die vielen Vertriebenen des Krieges untergebracht und versorgt. Selbst die polnische Regierung, die nur wenige Monate zuvor Flüchtlinge aus Belarus brutal an der Grenze abgewiesen hatte, heftet sich nun stolz an die Brust, die meisten Ukrainer in Europa zu beheimaten.
Die Handlungsmaxime in dieser Extremsituation war klar: der angegriffenen Ukraine helfen, sich gegen Russland zu erwehren. Einbußen des eigenen Lebensstandards durch gestiegene Preise wurden dabei ebenso in Kauf genommen, wie die Notwendigkeit, künftig wieder mehr Geld in Verteidigung zu stecken.
Dabei bewegen sich viele Mitgliedstaaten von EU und NATO auf einem schmalen Grat zwischen Unterstützung und Parteinahme. Dieser wird nur noch stärker akzentuiert durch die Art und Weise, wie die Unterstützung für die Ukraine begründet und legitimiert wird. Denn rhetorisch wird Wolodymyr Selenskyj und seinen Landsleuten attestiert, dass sie Europas Werte (Ursula von der Leyen) beziehungsweise die Freiheit und Friedensordnung Europas verteidigen (Annalena Baerbock) oder dass ein Eintreten für die Ukraine Frieden, Freiheit und Demokratie schützt (Boris Johnson). Überwölbt werden diese Aussagen von der eher grundsätzlichen Feststellung, dass es sich beim Krieg Russlands gegen die Ukraine um einen ideologischen Kampf zwischen Autokratie und Demokratie handelt, was gerne mit historischen Beispielen illustriert wird. In diesem Sinne wird der Krieg zu Europas Krieg gemacht, als Teil der attackierten Wertegemeinschaft.
Die USA sind mit ihren Nuklearwaffen sowie ihrem konventionellen Potential entscheidend.
Gleichzeitig findet aber eine notwendige Distanzierung und Abgrenzung statt. Praktisch wird sehr behutsam zwischen Hilfe für den Angegriffenen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und einem Eintreten in den Krieg selbst unterschieden. Der wichtigste Grund dafür liegt auf der Hand: die Vermeidung einer weiteren Eskalation des Krieges zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO selbst, was meist drastisch unter dem einprägsamen Begriff vom „Dritten Weltkrieg“ zusammengefasst wird. Allerdings ist die Grenzziehung in diesem Fall nicht immer ganz simpel, da unklar ist, ob sich die entscheidenden Personen in Moskau an völkerrechtlichen Regelungen orientieren (eher nicht).
Daher hat sich in den vergangenen Monaten eine politische Dynamik rund um Waffenlieferungen für die Ukraine entwickelt, die in einigen NATO-Staaten für heftige Debatten gesorgt hat. Denn auch wenn Unterstützung vorbehaltlos signalisiert wird, gilt dies nicht für jede Waffengattung, die von der Ukraine eingefordert oder von einigen Staaten in Aussicht gestellt wird. In Deutschland war dies zuerst am eher schwammigen Typ der „schweren Waffen“ zu beobachten. Aktuell kreist die Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern westlicher Bauart, die von einer Reihe von Expertinnen und Experten gefordert wird.
Das Vorgehen Deutschlands – „wir liefern nur im Verbund mit unseren Alliierten“ – stößt auf Kritik, weil die Risiken der Eskalation teils anders bewertet werden, als von der grundsätzlich eher zurückhaltend agierenden Bundesregierung. Diese verweist bei ihren Entscheidungen stets auf die zentrale Rolle der USA, deren Interpretation darüber, was geliefert werden kann und was nicht, bis dato handlungsleitend war für die übrigen Verbündeten. Dies galt bei der sehr frühen Diskussion über die Lieferung von MiG-29 aus Polen an die Ukraine, ebenso wie beim Ansinnen der ukrainischen Regierung, sie mit weitreichenden Raketensystemen zu versorgen. Beides wurde von Washington abgelehnt, weil offenbar der Eindruck vorherrschte, dass damit die Gefahr einer Ausweitung des Krieges entweder durch den russischen Einsatz von Massenvernichtungswaffen oder ein Ausgreifen der Kampfhandlungen auf das Bündnisgebiet drohen könnte.
Der Verweis auf die USA ist zentral und vor dem Hintergrund ihrer Schlüsselrolle für die Bündnisverteidigung auch berechtigt. Denn auch wenn dies in den hitzigen Diskussionen um die Unterstützung für die Ukraine bisweilen untergeht: Die USA sind mit ihren Nuklearwaffen sowie ihrem konventionellen Potential entscheidend sowohl für die Abschreckung als auch für die Abwehr oder die Antwort auf einen Angriff. Ein nicht abgesprochenes Vorgehen eines anderen NATO-Staates wäre mithin nicht nur verantwortungslos, sondern auch eines Systems der kollektiven Sicherheit nicht angemessen.
Die Unterstützung der Öffentlichkeit für den Beistand der Ukraine ist nicht grenzenlos gegeben.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die anhaltende Behutsamkeit. Die Unterstützung der Öffentlichkeit für den Beistand der Ukraine ist nicht grenzenlos gegeben. Denn für viele europäische Gesellschaften kann man die eigene Position in diesem Krieg vielleicht am besten mit der Wendung „Nur dabei statt mittendrin“ beschreiben. Das wird untermalt durch den Umstand, dass sich wenige Anzeichen dafür finden, dass die politischen Überhöhungen des Krieges geteilt werden. Nur wenige Menschen sehen den Krieg als Teil des Konflikts zwischen Demokratien und Autokratien, oder auch als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen.
Russland wird nun zwar breit als Bedrohung wahrgenommen, auch die Gefahr eines Krieges zwischen Russland und dem Westen ist ins Bewusstsein der Menschen zurückgekehrt. Galt dies 2021 nur für die östlichen Mitgliedstaaten der EU, wird dieser Eindruck inzwischen breit zwischen Ost und West geteilt. Viele Menschen sind der Ansicht, dass sich ihre Regierungen in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine einmischen sollten, weil Russland als einseitiger Aggressor identifiziert wird.
Allerdings gibt es bei der Art der Einmischung die gleiche rote Linie, wie in den Entscheidungsrunden der NATO. Breite Mehrheiten sprechen sich für die Sanktionierung Russlands inklusive eines Boykotts der Energieimporte aus, auch wenn dies für teils massive finanzielle Einschnitte sorgt. Die Lieferung von Waffen an die Ukraine dagegen ist schon deutlich umstrittener, ein Umstand, der nicht nur für Deutschland oder Frankreich gilt, sondern auch für Lettland und Polen. Die gemeinsame rote Linie ist dagegen die Entsendung von Truppen als klarste Überschreitung der Grenze zwischen Unterstützung und Beteiligung.
Damit wird deutlich, dass die Gefahr eines Kontrollverlustes und mithin einer Eskalation des Krieges nicht nur an Kabinettstischen, sondern ebenso klar auch an den Küchentischen in Europa gesehen wird. Das behutsame politische Lavieren auf dem schmalen Grat zwischen Unterstützung und Parteinahme wird also auch in den kommenden Monaten weitergehen. Gleichzeitig besteht jedoch die Notwendigkeit, diesen Kurs auch weiterhin zu erklären und verständlich zu machen, soweit das die militärischen Realitäten erlauben. Nur so kann das hohe Niveau an öffentlicher Unterstützung für den Beistand an die Ukraine auch in Zukunft aufrechterhalten werden.
Erschienen im IPG-Journal, 22.12.2022 https://www.ipg-journal.de/rubriken/demokratie-und-gesellschaft/artikel/nur-dabei-statt-mittendrin-6405/
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