Mut zum Lückeschließen
Koordinierte Bemühungen zum Beenden des Krieges in der Ukraine gibt es bislang nicht. Höchste Zeit, dieses Manko zu beheben.
In der Europäischen Union sorgten die „Friedensmissionen“ des aktuell amtierenden Ratsvorsitzenden Viktor Orbán zuletzt für Unruhe. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Frage, wer für die EU spricht und inwiefern dergleichen Reisen von der Union abgestraft werden sollten. Was dabei jedoch oft übersehen wurde, ist die Tatsache, dass Orbán die Rolle als „Friedensfürsten“ nur deshalb ausfüllen konnte, weil international ein Vakuum existiert. Seit mehr als zwei Jahren tobt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Bemühungen um Frieden haben noch keine koordinierte Form gefunden.
Nach dem Scheitern der bilateralen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul gab es eine Reihe von Ad-hoc-Initiativen. Italien präsentierte ebenso wie China oder Brasilien einen Friedensplan, selbst der Papst soll sich um Frieden bemüht haben. Der multilaterale Gipfel im schweizerischen Bürgenstock setzte sich klugerweise nicht zum Ziel, Frieden zu schaffen, sondern vielmehr einen Prozess hin zum Frieden anzustoßen. Aber verbunden war das alles nicht miteinander.
Denn zwischen den einzelnen Bemühungen und Friedensplänen sowie den überwölbenden Friedenskonferenzen mit einer Vielzahl von teilnehmenden Staaten und Organisationen klafft eine Lücke: Es fehlt eine stetige und flexiblere Struktur, in der die wichtigsten Stakeholder regelmäßig zusammenkommen. Daher braucht es eine internationale Kontaktgruppe zur Bearbeitung des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Diese würde sich im Rahmen der Resolution der UN-Generalversammlung bewegen, die ein Jahr nach Beginn des Krieges alle Staaten und internationalen Organisationen aufgefordert hatte, diplomatische Bemühungen um einen fairen und anhaltenden Frieden zu unterstützen.
Eine Kontaktgruppe ist kein Allheilmittel und wird auch nicht in wenigen Monaten Frieden schaffen. Sie kann aber die relevanten internationalen Akteure koordinieren, gemeinsame Positionen zwischen den Friedensplänen herausarbeiten und die Konfliktparteien gemeinsam adressieren. Dabei arbeitet sie nach unverbindlichen Regeln und dient allein dem Zweck der Koordinierung, Kooperation und Kohäsion in der jeweiligen Konfliktsituation. Gleichzeitig machen internationale Kontaktgruppen die Dringlichkeit des Konflikts bewusst. Sie können gerade in Zeiten wachsender geopolitischer Spannungen die interessierten Großmächte an einen Tisch bringen und damit allein schon eine deeskalatorische Wirkung entfalten.
Aufgaben für eine solche Kontaktgruppe gibt es genug: Die Vorstellung gemeinsamer Initiativen ist ebenso wichtig wie die Ermöglichung eines Dialogs der Konfliktparteien. Sie kann politischen Druck auf die Konfliktparteien ausüben, um Verhandlungen zu beginnen. Nicht zuletzt kann eine internationale Kontaktgruppe kleinere Schritte anstoßen, die zu einer Verbesserung der Lage für die Zivilbevölkerung beitragen. Sie könnte Zurückhaltung bei Angriffen auf zivile Infrastruktur ebenso zu einem Thema internationaler Diskussionen machen wie die Sicherung der Nuklearanlagen.
Grundsätzlich sollten die beiden Konfliktparteien nicht Teil der Kontaktgruppe sein.
Damit dies in der aktuellen Lage zwischen Russland und der Ukraine greift, in der vor allem Russland viele der oben aufgeführten Aspekte offensichtlich missachtet, kommt der Zusammensetzung der Gruppe eine entscheidende Rolle zu. Deswegen muss zwischen der Kontaktgruppe und den Konfliktparteien unterschieden werden. Der Fehler des Normandieformats, bei dem Russland mit am Tisch saß, weil es nominell nicht Konfliktpartei war, sollte nicht wiederholt werden. Grundsätzlich sollten die beiden Konfliktparteien nicht Teil der Kontaktgruppe sein, da es sich dabei nicht um ein Verhandlungsformat handelt. Stattdessen sollten sie bei Bedarf in einem Zusatzformat entweder individuell oder als +2 hinzugezogen werden, wenn es sinnvoll erscheint. Damit sitzen beide nicht mit am Tisch, sind aber dennoch nicht ausgeschlossen. Eine solche Formel könnte die Frage der Teilnahme aller Parteien, die schon in Bürgenstock für Zwietracht gesorgt hatte, elegant umschiffen.
Damit die Kontaktgruppe genügend politischen Einfluss mitbringt, muss sie entsprechend besetzt werden. Der Kern sollte aus den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats (mit Ausnahme Russlands) bestehen. Dazu sollte Deutschland als europäische Zentralmacht ebenso dazugenommen werden wie die Türkei, die weiterhin gute Beziehungen zu beiden Kriegsparteien pflegt und den erfolgreichen Getreidedeal mit ausgehandelt hat. Die globale Dimension sollte aber nicht nur durch die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats widergespiegelt werden, zusätzlich dazu sollten auch die BRICS-Staaten Teil der Kontaktgruppe sein. Damit säßen neben China auch Indien, Brasilien und Südafrika mit am Tisch. Zusätzlich könnte es ebenso sinnvoll sein, die Schweiz als neutrales Land hinzuzunehmen, die zudem eine hohe Expertise in Konfliktmediation mitbringt. Sie könnte in dieser nicht ganz leicht handhabbaren Konstellation von neun plus zwei Staaten zudem die Rolle als Facilitator übernehmen.
Damit diese Gruppe als Format funktionieren kann, bietet es sich an, dass die Beteiligten Sondergesandte ernennen, die sich hauptsächlich um diesen Konflikt kümmern und als Ansprechpersonen sowohl intern als auch extern fungieren können. Dazu braucht es eine enge Verbindung zu multilateralen Organisationen. Entsprechend kann die UN einen Special Advisor benennen (keinen Sonderbeauftragten), der die Arbeit der Kontaktgruppe mithilfe des UN-Sekretariats unterstützen kann. Eine ähnliche Funktion könnte auch die OSZE übernehmen, die einerseits über langjährige Erfahrung in der Ukraine verfügt und gleichzeitig ihre Rolle als zentrale Organisation für europäische Sicherheit damit ein Stück weit ausfüllen kann.
Die Vorbereitungen dafür sollten bald beginnen, denn das Zeitfenster bis zu den Wahlen in den USA ist nicht sehr groß.
Mit all den Konjunktiven und hypothetischen Gruppenzusammensetzungen wird deutlich, wie schwierig es sein wird, eine solche Gruppe funktional zu gestalten und mit ihr einen tatsächlich konstruktiven Einfluss auf die bislang zerfledderten und unkoordinierten Friedensinitiativen auszuüben. Damit es so weit kommen kann, muss aber zuerst eine massive politische Hürde genommen werden: Die Initiative für eine solche Kontaktgruppe muss gemacht und mit politischem Kapital unterfüttert werden. Die Vorbereitungen dafür sollten bald beginnen, denn das Zeitfenster bis zu den Wahlen in den USA ist nicht sehr groß. Zumindest das Wahlergebnis muss für die endgültige Bildung einer solchen Gruppe ohnehin abgewartet werden.
Danach bietet sich entweder eine Initiative durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen an, alternativ könnte ein solcher Impuls auch von einer kleinen Gruppe von Staaten kommen, die das Ziel eines baldigen fairen Friedens teilen. Ein gemeinsamer Impuls von Deutschland, Südafrika und der Türkei könnte beispielsweise erfolgversprechend sein. Darin finden sich vermutlich sowohl die beiden Konfliktparteien als auch die NATO und die BRICS ausreichend repräsentiert. Eine dritte Möglichkeit wäre eine diplomatische Initiative der finnischen Regierung, die 2025 den OSZE-Vorsitz innehaben wird und die eine solche Kontaktgruppe zum zentralen Projekt ihres Vorsitzes machen könnte. Damit gäbe es eine zukunftsweisende Idee, die 50 Jahre nach der Verabschiedung der Helsinki-Schlussakte das Ziel eines nachhaltigen europäischen Friedens in den Blick nehmen und anzugehen versuchen würde.
Die Kooperation beider Kriegsparteien mit einer solchen Kontaktgruppe wäre dabei Vorbedingung dafür, dass dieses Format einen Mehrwert bieten könnte. Aber angesichts der aktuellen militärischen Pattsituation und beiderseitigen Ermüdung ist es durchaus vorstellbar, dass eine dergestalt besetzte Gruppe eine gesichtswahrende Möglichkeit anbietet, offene Fragen anzugehen. Die immer wieder zitierte Reifung des Konflikts – die notwendig sei, damit beide Seiten Verhandlungen als gangbaren Weg ansähen – kann mit der Bildung einer Kontaktgruppe vielleicht beschleunigt werden. Gleichzeitig stünde damit ein Format bereit, sobald der Bedarf an stärkerer internationaler Koordination auftritt.
Die Fortsetzung des Krieges und die Gefahr einer weiteren Eskalation des Konflikts zwischen Russland und dem Westen betrifft eine Vielzahl internationaler Akteure, auch und gerade die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und der BRICS. Je eher sie ein gemeinsames Format finden, um über das Ende des Krieges beziehungsweise die Vermeidung der Eskalation des Konflikts zu sprechen, desto besser. Denn sonst bleibt die Bühne politischen Illusionskünstlern wie Viktor Orbán überlassen, der Frieden als Vehikel für seine Eigenvermarktung missbraucht.