14.02.2020

Bleibt Putin der starke Mann?

Reinhard Krumm · IPG-Journal

Russland bereitet sich auf die Machtübergabe vor. Wie lässt sich Stabilität wahren, welche Rolle spielt das Ausland? Reinhard Krumm im Interview.
Das Interview führte Claudia Detsch.

Für 2024 ist die Amtsübergabe von Präsident Putin an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin vorgesehen. Sie haben mit einem Team von russischen und internationalen Analysten mögliche Szenarien für die Übergangsphase entwickelt. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit dieser Machtwechsel das Land nicht destabilisiert?

Die konstitutionellen Voraussetzungen für eine stabile Amtsübergabe sind in Russland gegeben. Die zu Beginn des Jahres verkündeten Reformen stärken allerdings den Präsidenten, heben ihn von der Tagespolitik weiter ab und immunisieren ihn gegen ein möglicherweise weniger loyales Parlament. Die Möglichkeiten des Parlaments sind damit faktisch neutralisiert worden. Putin wird voraussichtlich weiterhin eine politische Rolle spielen. Ob diese Entwicklung zu größerer Stabilität des Staates führt bleibt abzuwarten.

Die russische Opposition scheint in Ihren Szenarien keine große Rolle zu spielen. Ist sie zu schwach, um die Geschicke des Landes zu prägen?

Wie auch in anderen Staaten unterscheidet man in Russland zwischen der innerparlamentarischen und der außerparlamentarischen Opposition. Beide erscheinen uns wenig einflussreich. Hinzu kommt freilich die innerstaatliche Opposition, also unterschiedliche Lager im Regierungslager, die sich über den Weg in die Zukunft uneinig sind. Ob sich diese Meinungen in Zukunft schärfen werden und zu einem Streit sich ausbreiten, hängt sicherlich auch von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab, sowohl innerhalb Russlands als auch global.

Welche Rolle spielt die lokale Ebene? Bislang kam ihr eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Zukunft des Landes zu. Liegt hier der wahre Schlüssel für Stabilität?

In Russland herrschen unterschiedliche Staatlichkeiten. Einerseits gibt es Stadtstaaten wie Moskau und St. Petersburg, andererseits beispielsweise die Republik Tschetschenien. Aber der Aufruf des Präsidenten Boris Jelzin aus den Neunziger Jahren, die Republiken Russlands sollten sich möglichst viele Freiheiten nehmen und sich auf diese Weise entwickeln, gilt mittlerweile nicht mehr. Die Benennung von Gouverneuren hat sich stark verändert. Die absolute Mehrzahl wird vom Kreml als Statthalter bestellt, hat wenig Bezug zu den Regionen und verfügt über keine wirkliche Machtbasis. Die neu eingeführte „einheitliche öffentliche Macht“ soll nun auch die kommunale Selbstverwaltung kassieren. Die Gouverneure werden im Zentrum beobachtet, der Erfolg ihrer Politik garantiert im Idealfall Stabilität und Wohlstand.

Für eine stabile Entwicklung in Russland scheint es den Szenarien zufolge vorteilhaft zu sein, wenn Trump wiedergewählt wird. Was droht den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen bei einem Sieg der Demokraten?

In den USA gibt es kaum Politikfelder, in denen Demokraten und Republikaner übereinstimmen. Eines davon ist das hohe Misstrauen gegenüber Russland. Allein Präsident Donald Trump hat Interesse, mit Russland im Gespräch zu bleiben.

Welche Auswirkungen hätte eine globale Rezession auf die Übergangsphase in Russland?

Die auf Rohstoffen basierende Wirtschaft und die Abhängigkeit von deren Weltmarktpreisen ist die Achillesferse Russlands. Gleichzeitig ist die Auslandsverschuldung des Landes verhältnismäßig gering. Insofern ist ein schneller politischer Effekt bei einer globalen Wirtschaftskrise nicht zu erwarten, wohl aber eine stärkere Annäherung an wichtige Handelspartner, darunter auch die EU.

Können die Europäer die weitere Entwicklung in Russland maßgeblich beeinflussen?

Die Staaten der EU verfügen über keine kohärente Russland-Politik, abgesehen von den sogenannten fünf Mogherini-Prinzipien, die nach dem Ausbruch der Krise in und um die Ukraine herum formuliert wurden. Dort wird auch ein konstanter und auszubauender Dialog der Zivilgesellschaften gefordert. Daraus ergibt sich der Anspruch, Russland in eine ständige Debatte mit der EU über allgemeine Herausforderungen einzubinden. Diese ist im Gegensatz zu einem US-Russland-Gespräch nicht allein auf Sicherheitsfragen ausgerichtet, sondern auch auf sozioökonomische Fragen einer digitalisierten Arbeitswelt, auf Umwelt und auf das Verständnis von Demokratie in turbulenten Zeiten.

Eine verstärkte außenpolitische Aggressivität von Russlands Seite scheint in den Szenarien nur zu drohen, wenn die Nato-Osterweiterung fortgesetzt wird. Ein klares Plädoyer also, die Finger davon zu lassen?

Russlands Außenpolitik ist recht konstant seit 1992. Ein Kritikpunkt war stets die NATO-Osterweiterung, doch kam es immer zu einer Einigung. Inzwischen ist eine solche Einigung über mögliche neue Nato-Mitgliedstaaten nicht mehr möglich. So kommt es zu einem Sicherheitsdilemma: Mögliche neue Mitglieder berufen sich auf die Prinzipien der Pariser Charta der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) von 1990, bestärkt durch die Astana-Deklaration der Nachfolgeorganisation OSZE von 2010, in der die Bündnisfreiheit der OSZE-Mitgliedsstaaten garantiert wird. Auf der anderen Seite heißt es in beiden Dokumenten auch, dass die Sicherheit im OSZE-Raum unteilbar ist und deshalb die Bündniswahl nicht andere Staaten in ihrer Sicherheit gefährden darf. Zudem könnte ein Nato-Beitritt Georgiens und der Ukraine zu mehr Unsicherheit führen. Also muss es der Staatengemeinschaft darum gehen, eine Alternative aufzuzeigen, die besser ist als der Status quo und einer Mitgliedschaft in einem Sicherheitsbündnis vergleichbar ist.

Erschienen im IPG-Journal:
https://www.ipg-journal.de/regionen/europa/artikel/bleibt-putin-der-starke-mann-4077/

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