Reinhard Krumm · IPG Journal
Im grenzenlosen Konkurrenzkampf der Gegenwart sind Begriffe wie „Kalter Krieg“ verharmlosende Anachronismen.
Begriffe müssen sauber gewählt werden. Rückgriffe in die Geschichte und das Übertragen von alten Begriffen auf neue Sachverhalte vernebeln eher den Blick, als dass sie ihn schärfen. Neue Umstände erfordern neue Lösungsansätze und damit neue Begriffe. Und trotzdem mag keiner vom Begriff des „Kalten Krieg“ lassen. Insbesondere in den USA: Dort schreibt der Wissenschaftler Robert Legvold über die „Rückkehr zum Kalten Krieg“, sein Kollege Eugene Rumer über den „Cold War, Twenty-First-Century-Style“. Und Michael McFaul titelt seinen vor kurzem erschienen Tätigkeitsbericht als US-Botschafter in Moskau mit dem begrifflichen Gegenteil: „Vom Kalten Krieg zum Heißen Frieden“.
Der Begriff des „Kalten Krieges“ wurde nach dem 2. Weltkrieg geprägt. Es war der ideologische und weltweite Konflikt zwischen der Sowjetunion und seinen kommunistischen Alliierten sowie den USA und den westlichen Staaten Europas sowie deren Verbündeten. Dabei war der Einsatz von Atomwaffen beim Streben nach Dominanz lange nicht ausgeschlossen. Historisch gesehen bezieht er sich auf die Zeit von 1947, als US-Präsident Harry Truman von sowjetischer Aggression bedrohten Staaten Hilfe versprach, bis zum Fall der Berliner Mauer und dem folgenden Zerfall der Sowjetunion.
Der Unterschied zur Gegenwart wird schnell deutlich: Weder handelt es sich derzeit um einen ideologischen Konflikt, noch um einen wirtschaftspolitischen. Auf den ersten Blick sind die Konfliktparteien Russland auf der einen Seite sowie die USA, die Staaten der EU sowie Georgien und die Ukraine als Staaten der Östlichen Partnerschaft auf der anderen Seite verortet. Der Rest der Welt scheint zuzuschauen - verärgert, verängstigt oder wie China, mit einem Schmunzeln.
Militärische Auseinandersetzungen werden in der aktuellen US-amerikanischen Sicherheitsdoktrin nicht mehr ausgeschlossen.
Doch tatsächlich hat sich der Kreis der Beteiligten längst erweitert. Denn die Pfeiler der weltweiten Sicherheitsordnung sind brüchig geworden. Das Verständnis einer multipolaren Weltordnung, basierend auf Werten, Normen und kooperativer Sicherheit für einen nachhaltigen Frieden schwindet. Ebenso das für die dafür notwendigen Institutionen wie die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Besonders bedenklich: Die jeweils andere Seite wird mittlerweile weder als machtpolitisch dominant geschweige denn als relevant für eine zukünftige Sicherheitsordnung angesehen. Im Gegenteil: Militärische Auseinandersetzungen werden in der aktuellen US-amerikanischen Sicherheitsdoktrin nicht mehr ausgeschlossen.
So bereiten sich die großen, militärisch oder wirtschaftlich starken Staaten auf eine neue Ordnung vor, für die der Begriff „Ordnung“ in die Irre führt und die maßgeblich von Machtinteressen geprägt ist: Die USA wollen an ihrer Dominanz festhalten, China und Russland streben eine multipolare Welt an. Das Ende der Geschichte, das 1991 als Ende der Konkurrenz von Ideen ausgerufen wurde, dauerte gerademal ein Vierteljahrhundert, weil sich das Kräfteverhältnis zwischen den USA, China, Russland, der EU und weiteren Staaten massiv verschob.
Die USA setzen unter der Trump-Administration auf nationale Alleingänge. Und dass, obwohl das bisher dominierende Land der globalen Ordnung in dieser Situation eigentlich lernen sollte, seine Führungsrolle in einer sich veränderten Welt zu teilen. China hat nicht zuletzt durch die „One-Belt, one Road Initiative“ genügend wirtschaftlichen Einfluss weltweit gewonnen, wird diesen weiter ausbauen wollen, schätzt gleichwohl den globalen Handel. Das ebenfalls autoritär regierte Russland ist sich seiner Schwächen bewusst, wünscht sich aber seine Führungsrolle aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, nicht allein aufgrund der eigenen Größe, sondern auch aufgrund der militärischen Macht. Die EU fühlt sich wirtschaftlich stark, ist jedoch in einer Umbruchphase mit essentiellen Herausforderungen in einem solchen sicherheitspolitischen Wettbewerb unterlegen. Der EU fehlt es an Akteursqualität, obwohl gerade die für die Fortsetzung des Multilateralismus entscheidend wäre.
Tatsächlich verfolgen die großen Mächte unabhängig von geographischer Lage oder normativer Ausrichtung zunehmend eine Politik des nationalen Egoismus.
Der Altmeister der Analyse des „Kalten Krieges“, John Lewis Gaddis, schrieb 1983 in einem Artikel in Foreign Affairs, welche Bedingungen für eine friedliche Annährung beider Seiten gegeben sein müssen. (1): Parität im strategischen Wettrüsten, (2.): Herunterspielen ideologischer Gegensätze, (3.): Einverständnis, die Interessen des Anderen nicht zu ignorieren und schließlich (4.) auftretende Hindernisse wie schlechte Kommunikation, hartnäckige Bürokratie oder eine empörte Öffentlichkeit zielorientiert zu managen.
Diese Voraussetzungen sind derzeit schlichtweg nicht mehr vorhanden. Schlimmer noch: Statt zu Entspannung kommt es fast täglich zu weiterem Spannungsaufbau – und zwar auf allen Seiten. Das Vertrauen in staatliche Aussagen der Gegenseite ist bereits im vergangenen Vierteljahrhundert verlorengegangen: seit dem Irak-Krieg, seit dem Krieg in Jugoslawien, seit der NATO-Osterweiterung, seit dem Krieg in Georgien, seit der Annexion der Krim und den militärischen Auseinandersetzungen im Donbass. Öffentlichen Verlautbarungen wird kein Glauben mehr geschenkt.
Ein Hauptgrund liegt darin, dass ein Ziel für das Ende des wie auch immer zu benennenden Konflikts nicht klar zu benennen ist. Frieden allein scheint nicht ausreichend zu sein. Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Versöhnung mit den Staaten Osteuropas war der Grund der deutschen Ostpolitik. Die Vermeidung eines Atomkrieges war der Grund für harte Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Ein friedliches Europa war der Grund des KSZE-Prozesses, der mit der Schlussakte von Helsinki 1975 aber eben auch mit der Charta von Paris 1990 endete mit der Überschrift „Für ein neues Europa“.
Was ist heute das klar definierte Ziel? Worüber soll verhandelt werden, wo sind die so gefragten Win-Win-Themen? Denn es handelt sich nur vordergründig um einen Ost-West-Konflikt. Tatsächlich verfolgen die großen Mächte unabhängig von geographischer Lage oder normativer Ausrichtung zunehmend eine Politik des nationalen Egoismus. Es geht ihnen um die Fähigkeit, ihre Souveränität in einem höchst volatilen internationalen System verteidigen zu können und so stabile Rahmenbedingungen für die nationale wirtschaftliche und politische Entwicklung zu garantieren.
Begriffe wie „Kalter Krieg“ oder „Heißer Frieden“ sind in dieser Situation untauglich. Sie stellen den tatsächlich ausgetragenen Konflikt nicht korrekt dar. Denn der ist vielmehr ein globaler Konkurrenzkampf ohne verbindliche Regeln. Allein in Europa hat er die Form einer scheinbar altbekannten Auseinandersetzung angenommen. Sein Wesenskern jedoch ist ein anderer.
Erschienen im IPG-Journal: https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/alle-gegen-alle-2814/
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