»Deutsche Zivilmacht in der Zeitenwende«
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat einen selbstkritischen Diskurs zur deutschen Außen- und Ostpolitik ausgelöst. Obwohl dieser die alleinige Verantwortung Deutschlands überzeichnet, zeigt eine nüchterne Analyse, dass das Land seiner traditionellen Rolle als „Zivilmacht“ nicht gerecht wurde. Mangelnde (Zivil-)Machtmittel, mangelnde Zivilcourage zur Durchsetzung internationaler Regeln sowie die Fehleinschätzung der russischen Handlungsrationalität haben Bundesregierungen seit 2008 motiviert (Steinmeier 2022), die schrittweise Erosion der regelbasierten internationalen Ordnung zuzulassen. Will die amtierende Bundesregierung eine Führungsrolle in der Stabilisierung im Rahmen der selbst ausgerufenen Zeitenwende einnehmen, so müssen schrittweise militärische, diplomatische sowie immaterielle Ressourcen aufgebaut werden, insbesondere das Vertrauen der europäischen und westlichen Partner, um die angestrebte kooperative Führungsrolle einzunehmen.
Über den Autor
Sebastian Harnisch ist Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Heidelberg, Mitglied des Direktoriums des Heidelberg Center for American Studies (HCA) und Vorstandsmitglied des Heidelberg Center for the Environment (HCE). Seine Forschungsprojekte und Publikationen umfassen die Bereiche Vergleichende Außen- und Sicherheitspolitik, Theorien der Internationalen Beziehungen, Nonproliferation, Netzpolitik und Klimawandel.
Im Laufe seines wissenschaftlichen Werdegangs hat Sebastian Harnisch an der Universität Trier, der Universität der Bundeswehr München, der Beijing Foreign Studies University, der Al-Farabi National Kazakh University und der China Foreign Affairs University gelehrt. Er war als Gastwissenschaftler an der Columbia University in New York, der Yonsei University in Seoul sowie am Japan Center for International Exchange in Tokio tätig. 2012-2013 war er Research Fellow am Marsilius-Kolleg Heidelberg. Sebastian Harnisch ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift Foreign Policy Analysis sowie Mitherausgeber der Reihen Foreign Policy and International Order (Nomos Verl.) und Oxford Research Encyclopedia for Foreign Policy Analysis (Oxford University Press). Er hat zahlreiche Monographien, Sammelbände und Artikel in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht.