Debatte um die nukleare Teilhabe: Ja, bitte!
Die technische Frage um die Tornado-Nachfolge eröffnet nicht nur die Debatte um „Nukleare Teilhabe“ (wieder einmal), sondern um deutsche Sicherheitspolitik insgesamt.
Endlich wieder politisch diskutieren. Aus der akuten Not heraus, veraltete Tornado-Kampfflugzeuge ersetzen zu müssen, um die nukleare Teilhabe Deutschlands weiter aufrecht erhalten zu können, ist eine erhitzte Debatte entstanden. Geht es bei der nuklearen Teilhabe doch darum, dass in Deutschland stationierte Nuklearwaffen der USA im militärischen Ernstfall mittels deutscher Flugzeuge einzusetzen wären. Diese Regelung hatte ihren Ursprung im Kalten Krieg, um ein militärisch bedrohtes West-Deutschland gegen die Sowjetunion zu schützen. Neben Deutschland lagern solche Atomwaffen auch in Belgien, Italien, den Niederlanden und der Türkei.
Orientierung deutscher Sicherheitspolitik
Während zu Beginn der Debatte noch technische und wirtschaftliche Fragen im Vordergrund standen, also welches Flugzeug die notwendigen Aufgaben gut bewerkstelligen könnte, so ist nun die politische Frage in den Vordergrund gerückt: Sollen US Nuklearwaffen weiterhin in Deutschland stationiert sein und - im Ernstfall- eingesetzt werden? Im Kern dreht sich die Debatte nicht nur um den fortwährenden Nutzen oder Nachteil, sowie die Gefahr von Nuklearwaffen, sondern um die Orientierung deutscher Sicherheitspolitik in Zeiten zunehmender außenpolitischer Unsicherheit.
Für einen Verbleib Deutschlands in der nuklearen Teilhabe spricht die sicherheitspolitische Stabilität. Bei einer fortwährend wahrgenommenen Bedrohung vor allem mittelosteuropäischer NATO-Staaten durch die Russische Föderation sollte Deutschland als gewichtiger Mitgliedsstaat Kontinuität in der Nuklearpolitik im transatlantischen Verteidigungsbündnis zeigen. Zudem könnte der Austritt aus den Konsultations- und Entscheidungsformaten im Rahmen der nuklearen Teilhabe zu einer Stationierung von amerikanischen Atomwaffen in Mittelosteuropa führen, die zu sicherheitspolitischer Destabilisierung führen könnte.
Die Gegenargumente folgen auf dem Fuße: Kritiker wenden ein, dass der militärische Nutzen von Nuklearwaffen aus allianzpolitischer Sicht, vor allem aufgrund der Unberechenbarkeit US-amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik unter der Trump-Administration, neu zu bewerten ist. Hinzu kommt die Flexibilisierung des Einsatzes von Nuklearwaffen, so nachzulesen in der Nuclear Posture Review von 2018. Die USA verfolgen das Ziel, sich eine möglichst große Flexibilität und ein breites Einsatzspektrum ihrer Nuklearwaffen offen zu halten, sowie jene zu modernisieren und weiterzuentwickeln. Dazu passt der Wegfall von Beschränkungen aufgrund der Beendigung des INF-Vertrages und dem drohenden Auslaufen des New Start-Abkommens.
Sicherheitspolitisch wäre Deutschland auch bei einer Abkehr von der Teilhabe weiterhin beteiligt im Rahmen der nuklearen Planungsgruppe, der alle NATO-Staaten angehören. Dort könnte Berlin auch an der Abschreckungsstrategie der NATO teilnehmen. Kanada und Griechenland dienen als Beispiele, die 1981 und 2001 ausgetreten sind.
Verweis auf Tradition reicht nicht als Argument
Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, dass die von der SPD initiierte Debatte um die nukleare Teilhabe an sich schon ein sicherheitspolitisch verantwortungsloser Schritt sei, schlichtweg unseriös. Zumal der Ausstiegswunsch schon einmal in Deutschland prominent vorgetragen wurde. Vor genau zehn Jahren sah der damalige Außenminister Guido Westerwelle die nukleare Waffenpräsenz in Deutschland als ein Relikt des Kalten Krieges an, das dem Zeitgeist nicht mehr entsprach. Westerwelle konnte sich einst nicht durchsetzen.
Inzwischen hat sich die Bedrohungslage geändert. Die Hoffnungen auf ein geeintes Europa und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Vancouver bis Wladiwostok konnten nicht verwirklicht werden. Alte Gräben sind wieder aufgebrochen, das Verhältnis zwischen den USA und Russland ist annähernd vergleichbar mit dem in Hochzeiten des Kalten Krieges. Auch innerhalb der EU wird Russland zunehmend als Gegner gesehen. Zeitgleich haben sich aber auch die USA verändert, welche sich aktuell in einer Findungsphase befinden was ihren Einfluss in Europa angeht. Vor diesem Hintergrund stehen die Befürworter und die Kritiker der Nuklearen Teilhabe in der Pflicht, ihre Argumente zu schärfen und öffentlich zu machen.
Dies sollte vor dem Hintergrund konkreter Antworten über Kosten- und Nutzen dieser Waffen geschehen. Dabei wäre es aufgrund der Komplexität des Themas sinnvoll, die weitreichende Forschung im Bereich der Nuklearwaffen hinzuzuziehen, um bewerten zu können, wie plausibel die entworfenen Szenarien sowohl von Abrüstungsbefürwortern als auch -Kritikern sind. So finanziert das Auswärtige Amt in weiser Voraussicht seit einigen Jahren am IFSH in Hamburg eine neue Arbeitseinheit zu Abrüstungsfragen.
Mit der notwendigen Beschaffung von Flugzeugen hat sich ein Gelegenheitsfenster geöffnet, nicht nur europäische und US-amerikanische Technik zu vergleichen, sondern vor allem Deutschlands sicherheitspolitische Rolle in der Welt neu zu verhandeln. Die bisherigen Argumente für das Verbleiben in der Nuklearen Teilhabe sind unverändert und fußen auf einem Bild der internationalen Beziehungen, die in großen Teilen seinen Ursprung im Ost-West Konflikt des vergangenen Jahrhunderts findet. Da stellt sich schon die Frage, in welchem Maße dies noch angemessen ist?
In einer bemerkenswerten Einigkeit der deutschen überregionalen Tageszeitungen haben sich die Kommentatoren überboten in der Warnung, dass allein schon die von der SPD begonnene Debatte zu diesem Thema Deutschland wankelmütig aussehen lässt gegenüber unseren Nachbarn in der EU. Mehr noch, sie zeugt von Blindheit gegenüber der Bedrohung durch die Russische Föderation. Dies ist eine bemerkenswerte Verkürzung der sicherheitspolitischen Herausforderungen und zudem ein unnötiges und ungesundes Harmoniebedürfnis, die bei einem solchen Thema unangemessen ist. Für die strategische Debatte über Instrumente der Bewahrung der Sicherheit Deutschlands, die selbstverständlich immer im Rahmen von EU und NATO gedacht wird, darf es keinen Meinungskorridor geben und schon gar keine Alternativlosigkeit bestimmter Argumente.
Die Debatte darf eben nicht erstarren in alten Bildern des Kalten Krieges mit dem Hauptaugenmerk auf einen Ost-West-Konflikt, wie es ein Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt. Das ist zu einfach gedacht und nicht mehr zeitgemäß. Die jetzt begonnene Debatte ist die logische Konsequenz aus der Forderung das Deutschland mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen soll. Nicht, weil wir Deutschen nichts anderes zu tun hätten, sondern weil die unklare sicherheitspolitische Lage es erfordert. Die SPD hat dazu einen Beitrag geleistet, es würde den anderen Parteien gut anstehen, mit Argumenten in diese Debatte einzusteigen. Vermutlich reiben sich unsere europäischen Freunde die Augen und bemerken mit einem wohlwollenden Augenzwinkern: die Deutschen sind aufgewacht, strategische Debatten sind in Berlin nicht mehr tabu.
Über die Autoren
Simon Weiß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei FES ROCPE in Wien.
René Schlee ist Leiter des Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung Kosovo in Prishtina.